In einer Gruppendynamik sind immer alle Beteiligten mit einbezogen – die Resonanzgeber, die Beobachter und auch ich als Begleitung. Dabei ist es ganz normal, dass im Verlauf der Arbeit mit der Anliegenmethode Diskussionen oder auch Zweifel auftauchen können, besonders dann, wenn einzelnen Aspekten nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird. Manchmal können solche Unsicherheiten sogar zu Spannungen in der Gruppe führen.
Dazu habe ich einen kleinen Fragen-&-Antworten-Katalog zusammengestellt. Er soll helfen, typische Stolpersteine im Umgang mit dieser Arbeit leichter zu erkennen und einzuordnen.
Die Anliegenmethode gründet auf der Identitätsorientierten Psychotraumatheorie (IoPT nach Prof. Franz Ruppert). Sie folgt einem klaren, logischen Konzept – doch gerade für Teilnehmende eines Seminars oder Workshops ist es nicht immer einfach, die zugrunde liegenden Dynamiken (z. B. Täter-Opfer-Dynamiken) sofort zu durchschauen. Besonders herausfordernd wird es, wenn man selbst unbewusst mit dem Thema des Anliegen-Einbringers in Resonanz geht.
...oder lässt sich evtl. auch etwas anderes hineininterpretieren (z.B. Resonanzfeld anderer Familienmitglieder/ mehrgenerationale Perspektiven, spirituelle Sichtweisen etc.) ?
Jeder Mensch sendet bewusst und unbewusst Signale aus, die bei anderen eine Resonanz hervorrufen können (z.B. unerklärbare Zu- oder Abneigung, Reaktionen, innere Bilder etc.). In diesem Sinne wird jede Person zum Resonanzgeber. Deshalb gibt es keinen Grund, die Resonanzgeber in Frage zu stellen, sonst würde die Resonanz nicht entstehen.
Als Begleitung ist es wichtig, Aussagen der Resonanzgeber nicht zu bewerten oder umzudeuten. Würde ich eine eigene Interpretation darüberlegen, würde ich unbewusst eine Täterrolle übernehmen, den Klienten womöglich retraumatisieren oder seine Überlebensstrategien (Verhaltensmuster) verstärken. Weil in der IoPT die Wahrung der Autonomie aller zentral ist, würde ein solches Vorgehen die Grundlage des Prozesses infrage stellen.
Natürlich dürfen Klienten selbst Zweifel haben. Solche Zweifel können für alle Beteiligten belastend sein, da Abspaltungen von Erlebnissen oder Gefühlen oft nicht mit dem bisherigen Weltbild der Klienten vereinbar scheinen. Manchmal braucht es einfach Zeit und einen kleinen Impuls, bis sich zeigt, dass die eigene Biografie vielleicht anders verlaufen ist, als man es bisher geglaubt hat. Schlussendlich aber, je länger der Klient im Prozess bleibt, desto vollständiger zeigt sich seine eigene Biografie und der Klient fühlt automatisch eine schrittweise Verbesserung seines Zustandes.
Eigene Zweifel ernst zu nehmen, gehört zum Prozess. Sie sind ein Ausdruck von Autonomie und innerem Abwägen. Auch ich selbst hatte schon Aufstellungen, bei denen mir die Informationen zunächst unklar blieben. Oft zeigt sich die Wahrheit erst später:
Manchmal braucht Wahrheit Zeit – deshalb offen bleiben, beobachten und Schritt für Schritt weiter forschen.
Ja – Resonanzgeber bringen meist auch ihre eigenen Erfahrungen und Themen mit ein. Genau deshalb werden sie unbewusst für diese Rolle gewählt.
Wichtig ist: Der Resonanzgeber bewegt sich im Resonanzfeld des Klienten und steht ihm dadurch energetisch zu Diensten. Das bedeutet, dass sich die Informationen und Energien zwischen beiden spiegeln und wichtige Aspekte verstärkt zum Vorschein kommen können.
Für den Klienten eröffnet sich dadurch ein neuer Zugang zu bislang unbewussten Anteilen – etwa zu blinden Flecken, Überlebensstrategien oder Verhaltensmustern. Diese können Schritt für Schritt erkannt und friedvoll integriert werden.
Meine Erfahrung zeigt sehr oft, dass der eigene Heilungs-Prozess durch Täterschutz blockiert wird. Das heisst, es fällt schwer anzuerkennen, dass man von geliebten Menschen (z.B. Eltern) verletzt oder im Stich gelassen wurde.
Diese Haltung spiegelt genau das wider, was viele Betroffene schon als Kind tun mussten: Um die Situation auszuhalten, verdrängen sie die Verletzungen und klammern sich an die wenigen schönen Momente. So entsteht Loyalität gegenüber den Eltern – selbst wenn gleichzeitig Leid und Misshandlung vorhanden waren. Zum besseren Verständnis lässt sich das oberflächlich gesehen mit dem allgemein bekannten “Stockholm-Syndrom” vergleichen.
Ein extremes Beispiel dafür sind Abtreibungsgedanken während der Schwangerschaft. Auch wenn die Mutter sich später für das Kind entscheidet, erlebt der Embryo eine tiefe Bedrohung. Diese Erfahrung hinterlässt unbewusste Narben, ähnlich wie das Gefühl, von einem nahestehenden Menschen verraten zu werden. Das Gefühl, verraten oder unerwünscht zu sein, kann im Leben immer wieder in verschiedensten Situationen ausgelöst werden.
Mit der Anliegenmethode lassen sich solche verborgenen Verletzungen sichtbar machen und Schritt für Schritt integrieren. Dadurch entsteht neue emotionale Freiheit und mehr Lebensqualität.
Übrigens: Interessanterweise fällt es den meisten Menschen viel leichter, ihre „Täter-Energie“ zu erkennen, als die eigene Opferrolle anzunehmen.
Manchmal könnte der Prozess so einfach sein – und doch tauchen plötzlich starke Resonanzen auf, die sich querstellen. Es sind jene Anteile, die nicht bereit sind, in die „Harmonie-Pfeife“ zu blasen. Stattdessen zeigen sie sich mit einer konfrontativen Täter-Energie – gegen den Klienten oder auch vom Klienten ausgehend. Diese Situation kann intensiv sein und birgt das Potenzial für eine belastende Dynamik, wenn sie nicht achtsam aufgefangen und integriert wird.
Doch solche Erscheinungen sind kein Zufall. Sie haben eine Botschaft. Die Resonanzgeber sind mit ihrer Botschaft ernst zu nehmen. Sie öffnen dem Klienten ein Fenster zu einer tieferen Einsicht in die eigene Täter-Opfer-Verstrickung.
Dem inneren Saboteur zu begegnen bedeutet natürlich für jeden Klienten eine ziemliche Herausforderung. Es fordert Mut, denn diese inneren Kämpfe sind oft vertraut, sie spielen sich tagtäglich - meist unterdrückt und zu ungunsten der eigenen Gesundheit -ab.
Diese Konfrontation in einer Aufstellung zu erleben bietet die Chance, diese Dynamik sichtbar zu machen, sie zu verstehen und in einem geschützten Rahmen anzunehmen. Es ist der Beginn eines Prozesses, in dem der Klient seine eigene Geschichte neu betrachten, annehmen und in Frieden bringen kann.
Die Anliegenmethode ist eine wirkungsvolle Möglichkeit, um Traumata, Verhaltensmuster oder körperliche Symptome zu bearbeiten und aufzulösen. Durch diesen Prozess kommen wir automatisch in einen tieferen Kontakt mit unserer eigenen Verantwortlichkeit. Wenn es dir möglich ist, sprich bitte als Klient, Resonanzgeber oder Beobachter offen aus, wenn während einer Arbeit etwas unklar geblieben ist oder dich irritiert hat. Deine Rückmeldung hilft dabei, Missverständnisse, Fehlinterpretationen und möglichen Frust zu vermeiden. Gleichzeitig entsteht für alle Beteiligten eine wertvolle Gelegenheit, etwas Neues zu erkennen und dazuzulernen.