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Vom Mythos, dass Kinder schlechte Erfahrungen besser wegstecken können als Erwachsene - oder vom Sinn, sich nicht mehr an seine Kindheit erinnern zu können

Viele behaupten, sie könnten sich an bestimmte Zeiten ihrer Kindheit nicht erinnern. Was aber mit einer solchen Erkenntnis machen? Froh darüber sein und es auf sich beruhen lassen? Oder darüber erschrecken und diese Lücke zu schliessen versuchen? Wer Erinnerungslücken hat, die häufig traumabedingt sind, kann nicht ganz sicher in seiner Identität sein, kann die Frage nicht beantworten, "wer bin ich und was bin ich?" Es bedarf daher der bewussten Entscheidung, Licht in das Dunkel der eigenen Vergangen zu bringen. Die Erinnerungen sind da, wenn wir sie haben wollen.

 

Die Tatsache, dass wir uns an etwas nicht bewusst erinnern, bedeutet nicht, dass wir es nicht erlebt haben. Es kann geschehen sein, bevor unser Bewusstsein sich voll entwickelt hat. Es kann aber auch aus dem Bewusstsein verdrängt worden sein, weil es zu viel Angst gemacht und uns beschämt hat.

 

Während der letzten Wochen - (bedingt durch die Grenzschliessung aufgrund des chinesischen Schnupfens!) fühlte ich mich eingeengt. 60% meines Umfeldes waren für mich wegen der Grenze zu Deutschland und der Schweiz gesperrt. Ich lief teilweise wie ein Tiger im Käfig umher, meine Katze fühlte sich freier, hatte ich den Eindruck, und darum wollte ich wissen, warum ich mich so fühle. Nach einer Yoga Stunde, praktizierte ich noch  meine TRE Übungen (1) bei welcher ich dann ein Flashback hatte. Dabei sah mich als kleines Kind hinter einem Gitterbett, also auch gefangen. Ich versuchte mich an diese Zeit als Kleinkind zu erinnern, aber ich bemerkte, dass ich überhaupt keine Erinnerungen an diese Zeit hatte. Das gab mir doch zu bedenken und ich beschloss mich zu einer Aufstellung bei Margrit.

 

“Die einzige Wahrheit ist, dass unsere Erinnerungen untrennbar zu uns gehören, und zwar jede einzelne, ob sie gut ist oder schlecht ist, sie alleine machen deine Persönlichkeit aus.” (Alba Romero) 

 

In einer eigenen Resonanz-Arbeit mit Margrit stellte ich den Satz  “Ich will meine Gedanken und Erinnerungen (wieder)haben”. Es stellte sich bei “Erinnerungen” heraus, dass meine Kindheit bis ungefähr 8-10 Jahre nicht schön war, so dass es nicht wert ist sich daran zu erinnern und diese vollkommen ausgelöscht ist.  Bei “Gedanken” zeigte sich ein sexuelles Trauma  - welches in den letzten Aufstellungen schon öfters zum Vorschein kam und noch nicht weiter zu bearbeiten bereit war.

Und dann gab es noch das “Will”, dieser Anteil von mir fühlte sich enorm überfordert und gestresst, er strengte sich im Kopf derart an, dass es ihm ganz heiss wurde. Ein Anteil den ich heute noch kenne, der immer die Kontrolle behalten will.

Hier zeigten sich also drei Baustellen und meine grosse Resonanz ging zum “will” einem Überlebensanteil von mir, welcher meine Überforderung darstellte. Alles war ihm zuviel und er fühlte sich total gestresst. Im Kontakt mit diesem Anteil spürte  ich unter Tränen pure Überforderung. Es entstand Kontakt zwischen uns und ich konnte ihm erklären wie ich mich manchmal fühle, wie eine Lokomotive, welche ihre Waggons laufend zieht, diese aber immer die Bremse angezogen haben. Dies wurde auch von dem “will” bestätigt. 

 

So konnte ich mit der Überforderung (ausgelöst auch durch die ständige  Kontrolle), in Kontakt kommen und dann eine Entlastung für mich finden und kam somit mit meinem Ich wieder ins Fliessen.

 

“Man trägt doch eine eigentümliche Kamera im Kopfe, in die sich manche Bilder so tief und deutlich einätzen, während andere keine Spur zurücklassen.” (Bertha von Suttner)

 

Wenn wir im Nervensystem verbliebene Überlebensenergie entladen können, fühlen wir uns weniger bedroht und überwältigt vom Leben. Wir sind nicht länger starr vor Angst. Solange wir uns in einem Erstarrungszustand befinden, ist jede Bewegung furchterregend und chaotisch! Wenn etwas Verfestigtes wieder ins Fliessen kommt, entsteht in unserem Erleben ein Gefühl von Zusammenhang. Wir fühlen uns friedlich und wieder mit dem Leben verbunden. Wir haben anderen Menschen, der Welt und uns selbst gegenüber ein vertrautes Gefühl. Wir hören auf, Gefangene von Ereignissen aus unserer Vergangen zu sein, an die wir uns mitunter nicht einmal erinnern.

 

Wenn ein Erwachsener eine traumatische Erfahrung macht, ist sein zur Reife entwickeltes Gehirn fähig, einen temporären, von Trauma beeinflussten Denkprozess zu erzeugen, mit dem er sich helfen kann, das Trauma als solches zu identifizieren und zu bewältigen.

 

Das ist bei Kindern nicht der Fall. Wenn Kinder traumatisiert werden, während ihr Gehirn noch in der Entwicklung ist, wird die vorübergehende, von dem Trauma ausgelöste Verhaltensweise, die notwendig ist, um zu überleben, als ein charakteristischer Zug/Charakterzug in das Gehirn eingebaut - es wird zu einer Identifikation (nicht zu verwechseln mit der eigenen Identität!).

 

Nun ja, einige Wochen der Massnahmen der chinesischen Grippe sind nun vorbei und ich merke dass ich keine Lokomotive mehr bin oder vielleicht noch eine kleine Lok, aber ich ziehe auch keine Waggons mehr oder vielleicht nur noch kleine Waggons, aber ohne Bremsen, ist schon krass, oder? 

 

 

(1) TRE® – Tension & Trauma Releasing Exercises ist eine einfach zu erlernende Übungsreihe, die es Körper und Psyche ermöglicht zu einem natürlichen Gleichgewicht zurückzukehren

 

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